Raubkunst in der Stiftung – Lösungsmöglichkeiten
Wird im Vermögen einer Stiftung NS-Raubkunst identifiziert, so stellt sich die Frage, ob diese im Wege einer „gerechten und fairen Lösung“ im Sinne der „Washingtoner Erklärung“ an die vormaligen Eigentümer oder deren Rechtsnachfolger restituiert werden kann, ohne dass sich der Vorstand der Stiftung dem strafrechtlichen Vorwurf der Untreue (§ 266 StGB) aussetzt. Denn das sogenannte Grundstockvermögen einer Stiftung muss nach dem jeweiligen Stiftungsrecht der Bundesländer grundsätzlich „ungeschmälert“ erhalten bleiben und darf vom Vorstand eigentlich nicht angetastet werden (vgl. z.B. Art. 6 Abs. 2 BayStG). Hinzu kommt, dass die „Washingtoner Erklärung“ nur die öffentliche Hand verpflichtet. Das deutsche Recht gewährt gegenüber privaten Stiftungen keinen durchsetzbaren Restitutionsanspruch. Die rechtsgrundlose Herausgabe von Stiftungseigentum durch den Vorstand könnte also grundsätzlich als Verletzung von Vermögensbetreuungspflichten gewertet werden.
Gleichzeit droht einer Stiftung aber ein enormer Reputationsschaden, wenn sich deren Vorstand nicht in sachgerechter Weise mit begründeten Restitutionsforderungen auseinandersetzt. So geschehen etwa im Fall der Nürnberger Hagemann-Stiftung im Konflikt um eine Guarneri-Geige, die einstmals dem Speyerer Musikalienhändler Felix Hildesheimer gehörte und diesem verfolgungsbedingt entzogen wurde. Nach Einschätzung von Rechtsanwalt Dr. Louis Rönsberg, der auf Kunstrecht und Gesellschaftsrecht spezialisiert ist, wird Stiftungsvorständen zukünftig jedoch die pauschale Verweigerung einer Restitution unter Verweis auf die gesetzlichen Erhaltungspflichten erschwert: entsprechend einer Gesetzesnovelle ist es nun der erklärte Wille der Bundesregierung, dass auch private Stiftungen zukünftig einfacher Raubkunst restituieren können. Dies hat der Bundestag im Rahmen eines am 24.06.2021 angenommenen „Gesetzentwurf zur Vereinheitlichung des Stiftungsrechts“ zum Ausdruck gebracht.
Zwar lautet der neuen § 83c Abs. 1, S.1 BGB, der zum 01.07.2022 in Kraft treten soll, lediglich „Das Grundstockvermögen ist ungeschmälert zu erhalten“ und entspricht damit im Wesentlichen den Regelungen, die bereits seit langem in allen Landesstiftungsgesetzen geregelt waren (vgl. z.B. Art. 6 Abs. 2 BayStG). Interessant ist aber die Gesetzesbegründung, der zufolge Stiftungen auch dann nicht an einer Rückgabe von Kulturgut gehindert sein sollen, wenn es Teil des Grundstockvermögens ist, sofern gegen die Stiftung ein Herausgabeanspruch erhoben wird (Drucksache 19/28173 vom 31.03.2021). Ist ein Herausgabeanspruch darüber hinaus verjährt oder möchte die Stiftung das Kulturgut „freiwillig“ herausgeben, so sollen bei der Entscheidung im jeweiligen Einzelfall „insbesondere der Stifterwille hinsichtlich des betreffenden Objekts, der Wert des Besitzes oder des Eigentums an dem Kulturgut für die Stiftung sowie die Auswirkungen, die die Erhebung der Verjährungseinrede oder die Verweigerung der Herausgabe aus anderen Gründen erwarten lässt, sowie das wohlverstandene Interesse der Stiftung an einer Rückgabe, insbesondere auch hinsichtlich der Reputation der Stiftung“ berücksichtigt werden. Das soll im Übrigen auch für die Rückgabe von Kulturgütern, die Anspruchstellern in der SBZ/DDR entzogen worden sind (sog. DDR-Raubkunst), gelten.
Weiter heißt es in der Begründung des Gesetzentwurfs zu § 83c Abs. 1 BGB, die Erfüllung gerechtfertigter Restitutionsansprüche liege regelmäßig im „wohlverstandenen Interesse“ einer Stiftung und die Restitution von NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgütern sei ein wesentliches Element der Aufarbeitung des nationalsozialistischen Unrechtregimes. Es sei daher der erklärte Wille der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände, dass auch Privatpersonen und privatrechtlich organisierte Einrichtungen der „Gemeinsamen Erklärung“ und damit der Washingtoner Erklärung folgen.
Die Begründung steht mithin in krassem Widerspruch zum eindeutigen Wortlaut des Gesetzes, der nach wie vor schlicht die „ungeschmälerte“ Erhaltung des Grundstockvermögens fordert. Gleichwohl ist der erklärte Wille des Gesetzgebers ein klares Signal an die mit der Stiftungsaufsicht betrauten Behörden, so Rechtsanwalt Dr. Louis Rönsberg:
„Die Gesetzesbegründung weist Stiftungsvorständen den Ausweg aus einem Dilemma. Sie sollen nicht mehr gezwungen sein, das Grundstockvermögen um jeden Preis zu erhalten, sondern können im Rahmen einer Gesamtabwägung auch einen drohenden Reputationsschaden und den mit der Eintragung in die Lost Art-Datenbank ohnehin verbundenen Wertverlust des Kunstwerks in ihre Überlegung mit einfließen lassen. Die Bewertung dieser Entscheidungskriterien muss sich aber am geäußerten oder mutmaßlichen Willen des Stiftenden in Bezug auf das jeweilige Objekt orientieren. Lebt der Stifter ode die Stifterin nicht mehr, so kann sich dieser Wille zum Beispiel aus der Präambel der Satzung oder aus anderen Anhaltspunkten ergeben“.
Besitz eine Stiftung Kulturgüter mit unklarer Provenienz, die vor 1945 entstanden sind, so ist es nach der Erfahrung von Rechtsanwalt Dr. Rönsberg regelmäßig ratsam, dass der Vorstand proaktiv nach möglichen „verfolgungsbedingten Entzügen“ sucht. Dabei können spezialisierte Provenienzforscher und -forscherinnen unterstützen; denn neben dem primären Stiftungszweck, etwa dem Erhalt einer Sammlung, wird der mutmaßliche Wille von Stifterinnen und Stiftern regelmäßig darin bestehen, dass deren Ansehen für die Zukunft gewahrt und positiv mit der Stiftung verknüpft bleibt. Wird im Stiftungsvermögen Raubkunst identifiziert, so ist das Suchen und Finden einer „gerechten und fairen Lösung“ im Sinne der Washingtoner Erklärung daher regelmäßig im allseitigen Interesse.
Für Rückfragen zum Restitutionsrecht oder Stiftungsrecht steht Ihnen Rechtsanwalt Dr. Louis Rönsberg gerne zur Verfügung.
Verfasser des Artikels
Dr. Louis Rönsberg
Rechtsanwalt, Partner
Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht