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Mittwoch, den 17. Oktober 2018 Uhr

Raubkunst in Museen und privaten Sammlungen: Lösungsmöglichkeiten?

Rechtsgebiete: Kunstrecht

Auch über 70 Jahre nach der Befreiung Deutschlands vom Nationalsozialismus ist das Thema „Raubkunst“ aktuell, ja aktueller denn je. Die Washingtoner Erklärung im Jahr 1998 stellte einen ersten Meilenstein im Bestreben nach „fairen und gerechten Lösungen“ dar und rückte die Frage nach dem Umgang mit NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut in die öffentliche Wahrnehmung. Der Fall Gurlitt („Schwabinger Kunstfund“) setzte im Jahr 2013 ein weiteres Schlaglicht, auch wenn sich der mediale Wirbel um den vermeintlichen „Nazi-Schatz“ (FOCUS) als Falschmeldung herausstellt. Seitdem ist es in der Presse wieder stiller geworden um die Raubkunst. Nicht aber in der Praxis, so Rechtsanwalt Dr. Louis Rönsberg, der auf Kunstrecht spezialisiert ist und unter anderem Cornelius Gurlitt anwaltlich vertreten hat. Viele Kunsthändler und Sammler stehen vielmehr vor der drängenden Frage, wie in ihrem Besitz befindliche Raubkunst wieder handelbar gemacht werden kann. Öffentliche und private Museen sehen sich einem zunehmenden Rechtfertigungsdruck ausgesetzt und müssen eine negative Berichterstattung fürchten, die ihren langjährig erarbeiteten guten Ruf über Nacht beschädigen kann. Aber was kann getan werden, wenn sich im eigenen Bestand ein Raubkunstverdacht konkretisiert?

Rechtsanwalt Dr. Louis Rönsberg mit Gemälde von Max Liebermann aus Sammlung Gurlitt.

Raubkunst, Fluchtgut und NS-verfolgungsbedingter Entzug

Als „Raubkunst“ oder „NS-Raubkunst“ (engl. Looted Art) werden Kunst- und Kulturgüter bezeichnet, die ihren Besitzern in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgungsbedingt verlorengegangen sind. Je nach Definition fallen darunter auch Kunstwerke, die von ihren Besitzern vor der Flucht noch zu einem marktangemessenen Preis veräußert werden konnten. Speziell in der Schweiz hat sich der Begriff „Fluchtgut“ für Kunstwerke etabliert, die von Flüchtenden außerhalb des Einflussbereichs des NS-Regimes veräußert wurden. Da auch diese Verkäufe regelmäßig direkt auf die NS-Verfolgung zurückzuführen sind, scheint diese Differenzierung allerdings überflüssig zu sein. Der Begriff der „Raubkunst“ umfasst nach allgemeinem Verständnis ferner auch Objekte, die im Zweiten Weltkrieg durch Kräfte des nationalsozialistischen Deutschlands in den von Deutschland besetzten Gebieten entfernt wurden. Kulturgutraub durch die alliierten Kräfte und Besatzungsmächte wird dagegen als „Beutekunst“ bezeichnet. Der Begriff der sog. „entarteten Kunst“ spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle, da kaum Fälle bekannt sind, in denen Privatpersonen Kunst nur deshalb entzogen wurde, weil sie nicht den Vorstellungen des NS-Regimes entsprach.

Klage auf Rückgabe von Raubkunst vor deutschen Gerichten

Klagen auf Herausgabe von Raubkunst haben vor deutschen Gerichten regelmäßig kaum Aussicht auf Erfolg. Dies liegt vor allem an der Verjährungsfrist, die in Deutschland maximal 30 Jahre beträgt. Zwar können „abhanden gekommene Sachen“ gem. § 935 Abs. 1 BGB auch darüber hinaus nicht gutgläubig erworben werden und stehen damit weiterhin im Eigentum des letzten Eigentümers oder von dessen Rechtsnachfolgern. Allerdings unterliegt auch der Herausgabeanspruch aus dem Eigentum (§ 985 BGB) nach herrschender Meinung der Verjährung. Der frühere Eigentümer oder dessen Erbe bleibt dann zwar Eigentümer, kann aber langfristig die Einräumung des Besitzes nicht mehr gerichtlich durchsetzen. Schließlich kann auch an abhanden gekommenen Objekten ausnahmsweise Eigentum erworben werden, etwa im Rahmen einer öffentlichen Versteigerung (§ 935 Abs. 2 i.V.m. § 383 Abs. 3 BGB) oder durch Ersitzung (§ 937 BGB).

Rechtsanwalt Dr. Louis Rönsberg | Restitution der „Sitzenden Frau“ von Matisse

Faktisches Handelshindernis bei Raubkunstverdacht

Auch wenn Besitzer von Raubkunst vor deutschen Gerichten in der Regel keine Verurteilung zur Herausgabe fürchten müssen, so stehen sie oftmals dennoch vor beträchtlichen faktischen Problemen, sobald sie das Objekt verkaufen möchten. Denn sobald ein Kunstwerk oder eine Antiquität in eines der üblichen Register wie die staatliche Lost Art Datenbank des Deutsches Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg oder das kommerzielle Art-Los-Register in London eingetragen wurde, sind sie praktisch nicht mehr handelbar und erfahren eine massive Werteinbuße. Nach § 42 Abs. 1, Nr. 3 Kulturgutschutzgesetz (KGSG) sind gewerbliche Kunsthändler und Auktionatoren auch ausdrücklich gesetzlich dazu verpflichtet, die Provenienz von Kulturgütern zu überprüfen, bevor sie diese zum Verkauf anbieten oder anderweitig in Verkehr bringen. Große Auktionshäuser unterhalten Rechercheabteilungen und beschäftigen spezialisierte Provenienzforscher, deren Aufgabe es ist, im Rahmen der Einlieferung von Kunst- und Kulturgut vor der Versteigerung einen verfolgungsbedingten Entzug auszuschließen. In der Praxis fällt der Rechercheaufwand bei Kulturgut mit niedrigem Marktwert dennoch erfahrungsgemäß eher gering aus, da er in einem angemessenen Verhältnis zu der zu erwartenden Händlerprovision bzw. des Aufgelds stehen muss.

Nachforschungspflichten privater Verkäufer

Private Kunstverkäufer sind dagegen gem. § 40 Abs. 1 KGSG nur dazu verpflichtet, vor dem Verkauf von Kulturgut mit der „erforderlichen Sorgfalt“ zu prüfen, ob dieses „abhandengekommen“ ist, unrechtmäßig eingeführt oder rechtswidrig ausgegraben wurde. Nach der derzeit herrschenden Meinung stellt ein verfolgungsbedingter Verlust jedoch nicht automatisch ein „Abhandenkommen“ in diesem Sinne dar. Der Begriff orienteiert sich vielmehr an § 935 Abs. 1, S. 1 BGB und meint einen Besitzverlust gegen den Willen des Besitzers. Privatpersonen sind daher in der Regel nicht gesetzlich dazu verpflichtet, abzuklären ob es sich um NS-Raubkunst handelt. Gleichwohl lohnt es sich auch bei einem direkten Privatverkauf ohne Einbeziehung von gewerblichen Händlern die Provenienz des Kulturguts vorher ordentlich abklären zu lassen. Andernfalls drohen möglicherweise nach der Transaktion Konflikte mit dem Erwerber. Zudem haben sich einige Auktionshäuser intern dazu verpflichtet, unter Raubkunstverdacht stehende Kunstwerke und Antiquitäten so lange in ihrem Besitz zu behalten, bis der Verdacht entweder ausgeräumt oder mit den Anspruchstellern eine Einigung erzielt werden konnte.

Rechtsanwalt Dr. Louis Rönsberg | Symposium „Gurlitt – was nun?“, Universität Regensburg, 22.05.2015.

Die Washingtoner Konferenz und die „Washington Principles“

Bis Anfang der 90er Jahre interessierte sich im deutschen und internationalen Kunstbetrieb kaum jemand für die Frage nach einem verfolgungsbedingten Entzug von Kulturgut aus ehemals jüdischem Besitz. Ergebnis eines Mitte der 90er Jahre zunehmenden Problembewusstseins war schließlich im Jahre 1998 die sog. „Washingtoner Konferenz“ (Washington Conference on Holocaust-Era Assets), an der 44 Staaten und verschiedene Verbände teilnahmen. Ergebnis der Washingtoner Konferenz war eine Übereinkunft der Unterzeichnerstaaten („Washington Conference Principles“), wonach die während der NS-Zeit beschlagnahmte Raubkunst in öffentlichen Sammlungen identifiziert, deren Vorkriegseigentümer oder Erben ausfindig gemacht und mit diesen eine „gerechte und faire Lösung“ („just and fair solution“) gefunden werden soll. Die Regelung bezieht sich also nur auf Raubkunst im Besitz der öffentlichen Hand und sie ist rechtlich unverbindlich. Auf Raubkunst in Privatbesitz ist sie mithin nicht anwendbar. Zudem ist der Begriff der „gerechten und fairen Lösung“ sehr schwammig und kann letztlich alles bedeuten, von der vorbehaltlosen Rückgabe über einen Verkauf mit hälftiger Teilung des Erlöses bis hin zur schlichten Erwähnung der Vorkriegseigentümer in der Provenienz, d.h. auf der Bildbeschriftung im Museum oder im Katalog.

Raubkunst in öffentlichem Besitz

Um die staatlichen Sammlungen zu unterstützen, hat die Bundesregierung im Jahr 1999 eine „Handreichung zur Umsetzung der Washingtoner Erklärung“ veröffentlicht. Diese enthält neben Tipps zur Recherche nach Raubkunst in den eigenen Beständen der Sammlungen auch Beispiele für „gerechte und faire Lösung“. Nach den Vorstellungen der Bundesregierung soll sich die Lösung an den „Gegebenheiten und Umständen des spezifischen Falls“ orientieren. Als zu Gunsten der Sammlung zu würdigende Aspekte werden dabei lediglich genannt, dass das Objekt ggf. über einen längeren Zeitraum aus staatlichen Mitteln erhalten und öffentlich zugänglich gemacht wurde sowie die Notwendigkeit der Gewährung einer gewissen Frist, um im Falle eines Rückkaufes durch die Sammlung einen Finanzierung zu organisieren. Nach Auffassung von Rechtsanwalt Dr. Rönsberg bleiben hier beispielsweise Fälle unerwähnt, in denen das betreffende Kunstwerk von einer Privatperson geschenkt oder gestiftet wurde und in denen eine bedingungslose Herausgabe der Arbeit zu massiven Konflikten zwischen Mäzen und staatlicher Sammlung führen kann. Als zu Gunsten der Vorkriegseigentümer zu berücksichtigender Aspekt wird in der „Handreichung“ als einziges eine Großzügigkeit hinsichtlich der Anforderungen an Nachweise genannte.

Raubkunst in Privatbesitz

Wie aber ist mit NS-Raubkunst in Privatbesitz umzugehen? Nach der Erfahrung von Rechtsanwalt Dr. Louis Rönsberg, der in einer Vielzahl von Fällen zwischen aktuellen Besitzern und Vorkriegseigentümern vermittelt hat, gibt es letztlich keine allgemeingültige Lösung, denn jeder Fall ist verschieden und beinhaltet eine Vielzahl von individuellen Faktoren, die bei einer abschließenden Regelung berücksichtigt und gewichtet werden müssen, sofern sie wirklich „fair“ sein soll. Letztlich geht es darum, einen Kompromiss zu finden, mit dem beide Seiten leben können und der das Kunstwerk für die Zukunft rechtlich und moralisch entlastet. Zunächst einmal sind Privatpersonen und private Stiftungen eben nicht an die Washington Principles gebunden und auch gerichtlich lässt sich aufgrund der Verjährung in Deutschland eine Herausgabe oder Entschädigung regelmäßig nicht mehr gerichtlich erzwingen. Dennoch empfiehlt sich eine vertragliche Regelung mit dem Vorkriegseigentümer oder dessen Erben, und zwar neben moralischen Erwägungen nicht zuletzt, um das Kulturgut langfristig wieder handelbar zu machen. Zudem ist es schlicht schade um die künstlerische Arbeit selber, die in der öffentlichen Wahrnehmung unter Umständen auf Jahre hinaus nur noch mit dem Begriff „Raubkunst“ assoziiert wird, wie dies etwa bei der Sumpflegende von Paul Klee der Fall war.

Provenienzforschung | Raubkunst und die Suche nach ihrer Herkunft

Finden einer „Faire und gerechte Lösungen“

Beim Finden einer fairen und gerechten Lösung muss nach der Erfahrung von Rechtsanwalt Dr. Louis Rönsberg vor allem angemessen berücksichtigt werden, dass sich die genauen Umstände des Besitzverlustes oftmals nicht mehr mit Sicherheit feststellen lassen. So besteht in der Praxis oftmals bis zuletzt Unklarheit darüber, ob es sich bei der betreffenden Arbeit überhaupt um Raubkunst handelt, da sich beispielsweise nicht mehr klären lässt, ob der Verlust nicht vielleicht doch bereits vor der Machtergreifung Anfang 1933 stattgefunden hat, oder ob es sich, speziell bei seriellen Arbeiten, bei dem in Frage stehenden Kunstwerk möglicherweise um ein anderes handelt, das dem Gesuchten nur ähnlich ist. Handelt es sich sicher um NS-Raubkunst, so kann beispielsweise ungewiss bleiben, unter welchen Umständen und zu welchem Preis der Vorkriegseigentümer das Kunstwerk oder die Antiquität verkauft hat (vgl. „Causa Kirchner“, Berliner Straßenszene). Beim Finden einer fairen und gerechten Lösung zu berücksichtigen ist aber auch die Frage, wann und unter welchen Umständen der aktuelle Besitzer (engl. „Current Holder“) den Besitz erworben und welchen Preis er für das Kunstwerk oder die Antiquität gegebenenfalls gezahlt hat. Denn gerade bei Raubkunst in Privatbesitzt darf nicht vergessen werden, dass den heutigen Besitzer in der Regel kein Verschulden am verfolgungsbedingten Entzug trifft und dass auch ihn möglicherweise eine emotionale Beziehung mit dem Kunstwerk verbindet.

Fazit

Zusammenfassend ist festzustellen, dass es verschiedene Vorteile bietet, wenn sich Museen, Sammler oder Kunsthändler proaktiv um eine Lösung mit Vorkriegseigentümern oder deren Rechtsnachfolgern bemühen, sobald sie verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut in ihrem Bestand identifiziert haben. Andernfalls kann das betreffende Objekt auf unabsehbare Zeit überhaupt nicht oder nur für einen Bruchteil seines eigentlichen Wertes verkauft werden. Zudem droht eine Rufschädigung, sobald eine Rückgabe öffentlich gefordert wird. Wie eine „faire und gerechte Lösung“ im Sinne der Washington Principles aussehen kann, muss im Einzelfall erarbeitet werden, wobei zur Orientierung eine mittlerweile umfangreiche Kasuistik herangezogen werden kann.

Rechtsanwalt Dr. Louis Rönsberg berät staatliche Sammlungen, Kunsthändler und private Sammler beim Umgang mit Raubkunst und NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut. Als Spezialist für Kunstrecht war er beispielsweise im Jahr 2014 von Cornelius Gurlitt damit beauftragt, bezüglich vereinzelter verfolgungsbedingt entzogener Werke in der Sammlung Gurlitt mit den Alteigentümern faire und gerechte Lösungen zu verhandeln. Dabei ging es unter anderem um die „Sitzende Frau“ von Henri Matisse und die „Zwei Reiter am Strand“ von Max Liebermann.

Für Fragen zum Thema Raubkunst und Restitution steht Ihnen Rechtsanwalt Dr. Louis Rönsberg gerne zur Verfügung.

Verfasser des Artikels

Dr. Louis Rönsberg

Rechtsanwalt, Partner
Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

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