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Donnerstag, den 2. Dezember 2021 Uhr

Gutgläubiger Erwerb des Eigentums an Kunstwerken und Antiquitäten

Rechtsgebiete: Kunstrecht

Mancher Besitzer eines Kunstwerks, einer Antiquität oder eines Schmuckstücks hat sich schon mit einem gewissen Unbehagen die Frage gestellt, ob er wirklich dessen Eigentümer ist. Wurde das Gemälde nicht vielleicht vor dem Kauf gestohlen? Hatte sich der Erblasser die Kommode nur von einem Dritten geliehen? Oder handelt es sich dabei gar um NS-Raubkunst? Spätestens wenn es um den Verkauf eines Wertgegenstandes geht, sollte die Eigentumsfrage vorher sicher geklärt werden. Andernfalls setzt sich der Verkäufer unter Umständen dem Vorwurf des Betruges oder der Hehlerei aus oder macht sich schadensersatzpflichtig. Aber kann denn an gestohlenen oder verlorengegangenen Objekten überhaupt Eigentum erworben werden? Rechtsanwalt Dr. Louis Rönsberg, der auf Kunstrecht spezialisiert ist, kennt diese Fragen aus der Praxis.

Gutgläubiger Erwerb und Ersitzung von Kunst

Hat sich der Verkäufer das Kunstwerk oder die Antiquität nur geliehen und war gar nicht dessen Eigentümer, so ist ein gutgläubiger Erwerb durch den Käufer möglich, da der Verleiher den Besitz an den Verkäufer freiwillig übertragen hat (§ 932 BGB). Dies gilt nicht, wenn das Objekt dem Eigentümer gestohlen wurde, verloren gegangen oder sonst „abhanden gekommen“ ist (§ 935 Abs. 1 BGB). „Kein gutgläubiger Erwerb von abhanden gekommenen Sachen“ heißt schon die Überschrift des § 935 BGB. Von diesem Grundsatz gibt es aber Ausnahmen, so Rechtsanwalt Dr. Louis Rönsberg, beispielsweise beim Kauf in einer „öffentlichen Versteigerung“ im Sinne des § 935 Abs. 2 BGB. Als „öffentlich“ gelten nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtsofes neben Zwangsversteigerungen unter bestimmten Voraussetzungen auch Versteigerungen durch gewöhnliche Auktionshäuser.

Den häufigsten Fall des Eigentumserwerbs an abhanden gekommenen Kunstwerken und Antiquitäten stellt in der Praxis jedoch die sog. „Ersitzung“ nach § 937 BGB dar. Dem Paragrafen zufolge erwirbt das Eigentum, wer „eine bewegliche Sache zehn Jahre im Eigenbesitz hat„. Die Ersitzung ist ausgeschlossen, wenn der Erwerber bei dem Erwerb des Eigenbesitzes nicht in „gutem Glauben“ ist oder wenn er später innerhalb der zehn Jahre erfährt, dass ihm das Eigentum nicht zusteht. Dazu muss der Besitzer die (Fehl-)Vorstellung haben, selbst Eigentümer zu sein. Bösgläubig ist demnach, wer beim Besitzerwerb das Fehlen der eigenen Rechtsstellung als Eigentumserwerber kennt oder fahrlässig nicht kennt. Befindet sich das Kunstwerk oder die Antiquität aber während dieser zehn Jahre durchgängig oder zweitweise im Ausland, so ist das Sachenrecht des jeweiligen Landes in die Prüfung mit einzubeziehen.

Anforderungen an den guten Glauben des Käufers oder Erben

Je erfahrener der Käufer, desto höher die Anforderungen an dessen Gutgläubigkeit, so die Rechtsprechung zum gutgläubigen Erwerb. Von gewerblichen Kunst- und Antiquitätenhändlern erwarten die Gerichte beispielsweise, dass ihnen aufsehenerregende Straftaten oder politische Umwälzungen bekannt sind. Ein Schmuckhändler sollte an den Juwelendiebstahl im Dresdner „Grünen Gewölbe“ im Jahr 2019 denken, wenn ihm entsprechende Preziosen angeboten werden, ein Antikenhändler gegebenenfalls an die Raubgrabungen im Nahen Osten durch den sog. „Islamischen Staat“. Für Laien, die nur ausnahmsweise Kunst, Antiken oder Antiquitäten kaufen, gilt dies nicht in gleicher Weise. Wer dagegen seit Jahren sammelt oder regelmäßig in Auktionen einliefert, muss sich wiederum eher als Marktkenner behandeln lassen.

Ein weiteres Kriterium sind die Umstände des Erwerbs. So können, wie im sog. „Tiepolo-Fall“, ein ungewöhnlich niedriger Kaufpreis, der Erwerb einer bedeutenden Arbeit von einer am Kunstmarkt nicht bekannten Person oder das Fehlen von Zollpapieren den guten Glauben zerstören. Auch ein Kauf auf dem Flohmarkt muss nach der Rechtsprechung Misstrauen erregen, wenn das Angebot eines derartigen Objekts aufgrund der Gesamtumstände nicht erwartet werden kann. Gleiches gilt für Auffälligkeiten am Objekt selbst. Befindet sich etwa auf dem Rahmen des Gemäldes ein Museumsaufkleber oder wurde erkennbar eine Signatur entfernt, so ist Vorsicht geboten und eine Nachforschung veranlasst. Ist das Gemälde oder Möbel gar in ein bekanntes Verzeichnis abhandengekommener Kunst und Antiquitäten, wie das „Art Loss Register“ oder die „Lost Art-Datenbank“, eingetragen, wird für „guten Glauben“ zumeist kein Platz mehr sein.

Gutgläubiger Erwerb von NS-Raubkunst

Wurde ein Kunstwerk oder eine Antiquität während der Zeit des Nationalsozialismus verfolgungsbedingt entzogen („NS-Raubkunst„) und befindet sich heute in einer Sammlung der öffentlichen Hand, so stellt sich die Frage, ob die Alteigentümer bzw. deren Erben nach der „Washingtoner Erklärung“ von 1998 einen Restitutionsanspruch auf eine „gerechte und faire Lösung“ haben. Unabhängig davon sollte in sachenrechtlicher Hinsicht geprüft werden, ob das Objekt damals gestohlen wurde oder im Sinne des § 935 Abs. 1 BGB als „verloren gegangen“ oder „sonst abhanden gekommen“ gelten kann, etwa weil es beschlagnahmt oder nach der Deportation in der Wohnung zurückgelassen wurde. Dabei ist jedoch immer zu bedenken, dass auch der Herausgabeanspruch des Eigentümers (§ 985 BGB) der Verjährung unterliegt, so Rechtsanwalt Dr. Rönsberg. Und die ist nach spätestens 30 Jahren abgelaufen, unabhängig davon, ob der Eigentümer oder dessen Erben vorher wussten, bei wem sich das Objekt heute befindet.

Auch im Fall „Schwabinger Kunstfund“ wurde im Jahr 2014 und danach von Juristen die Frage aufgeworfen, ob der Erbe der Kunstsammlung, Cornelius Gurlitt, überhaupt Eigentümer aller in seinem Besitz befindlichen Kunstwerke war; denn ein wesentlicher Teil der Gemälde und Zeichnungen der „Sammlung Gurlitt“ war von dessen Vater, dem Kunsthändler Hildebrand Gurlitt, in der NS-Zeit erworben worden. Bei einem Teil der Sammlung handelte es sich um sog. „Entartete Kunst„, d.h. um von den Nationalsozialisten diffamierte Moderne Kunst aus staatlichen Sammlungen, die auf Anordnung Hitlers ab 1937 beschlagnahmt und verbrannt oder ins Ausland verkauft wurde. In diesen Fällen ist zwar grundsätzlich ein „Abhandenkommen“ zu verneinen, da letztlich die öffentliche Hand selber über ihr Eigentum verfügte. Was aber, wenn Hildebrand Gurlitt Kunstwerke vom Deutschen Reich nur zum Zwecke des Verkaufs in Kommission gegeben und nicht übereignet wurden?

Insbesondere aber bezüglich der wenigen Werke in der Sammlung Gurlitt, die nachweislich Juden verfolgungsbedingt entzogen wurden (NS-Raubkunst), stellte sich die Frage nach der heutigen Eigentumslage. Cornelius Gurlitt hatte die Gemälde und Zeichnungen nach dem Tode seiner Mutter im Jahre 1967 geerbt. Sein Vater musste als bösgläubig gelten. Aber galt das in gleiche Weise für die Mutter, die die Sammlung von 1956 bis 1967, d.h. über zehn Jahre im Eigenbesitz hatte? War Helene Gurlitt der Erwerbskontext jedes Einzelstücks bekannt? Vermutlich nicht, da sich in der Sammlung auch zahlreiche Arbeiten befanden, bei denen es sich weder um sog. „Entartete Kunst“, noch um „Raubkunst“ handelt. Jedenfalls Cornelius Gurlitt hat nach Ablauf von zehn Jahren, d.h. im Jahr 1977 auch an den abhanden gekommenen und möglicherweise vom Vater unterschlagenen Kunstwerken durch Ersitzung (§ 937 BGB) das Eigentum erworben, sofern er seit 1967 gutgläubig war. Oder trafen ihn als ausgebildeten Gemälderestaurator und Erbe seines Vaters Nachforschungspflichten, die zu einer fahrlässigen Unkenntnis geführt hätten?

Fazit

Ist ein gutgläubiger Erwerb ausgeschlossen, weil das Kunstwerk oder die Antiquität in der Vergangenheit gestohlen wurde, verloren gegangen oder sonst abhandengekommen war, so ist an eine Ersitzung zu denken. Dazu muss sich das Objekt über zehn Jahre lang im gutgläubigen Eigenbesitz befunden haben. Auch fahrlässige Unkenntnis führt zur Bösgläubigkeit, wobei die Anforderungen an die Gutgläubigkeit vom jeweiligen Erfahrungs- und Kenntnisstand und der Eigenschaft des Erwerbes als nur gelegentlicher Käufer, Sammler oder Händler abhängt. Möglich ist der Erwerb des Eigentums an abhandengekommenen Sachen auch im Rahmen einer „öffentlichen Versteigerung“. Wem das Eigentum zusteht, kann im Einzelfall von einem erfahrenen Anwalt oder einer Anwältin ermittelt werden. Werden für die rechtliche Prüfung des Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses weitere Informationen über die Geschichte des Kunstwerks benötigt, so kann eine Fachkraft für Provenienzforschung mit der Recherche beauftragt werden.

Rechtsanwalt Dr. Louis Rönsberg ist auf Kunstrecht spezialisiert und steht zu Fragen zum Eigentum an Kunstwerken und Antiquitäten gerne zur Verfügung (Tel. 089-51 24 27 0).

Verfasser des Artikels

Dr. Louis Rönsberg

Rechtsanwalt, Partner
Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

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