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Montag, den 23. März 2020 Uhr

Lieferverzug wegen Corona – höhere Gewalt oder Schadensersatz?

Rechtsgebiete: Gesellschaftsrecht/M&A, Handelsrecht & Vertriebsrecht

Die Corona-Krise und die damit verbundenen Ausgangssperren haben das gesellschaftliche Leben in Deutschland und in den Wirtschaftsmetropolen der Welt zwischenzeitlich weitgehend zum Stillstand gebracht. Hersteller und Zulieferer müssen wegen der Ansteckungsgefahr für ihre Mitarbeiter vorübergehend schließen oder stellen auf Kurzarbeit um. Auch innereuropäisch werden Grenzen zeitweilig geschlossen und der Lieferverkehr ist durch kilometerlange Staus stark eingeschränkt. In der Folge können viele Unternehmen, die sich vertraglich zu einer Lieferung verpflichtet haben, vereinbarte Liefertermine nicht halten und werden vertragsbrüchig. Schuldet der Lieferant in einer solchen Situation Schadensersatz wegen Lieferverzugs oder kann er sich auf höhere Gewalt (sog. Force Majeure) berufen bzw. entfällt die Pflicht zur Lieferung wegen Unmöglichkeit? Rechtsanwalt Dr. Louis Rönsberg, Fachanwalt für Handelsund Gesellschaftsrecht, erklärt:

1. Unmöglichkeit der Lieferung wegen Corona, § 275 BGB

Geschlossene Lieferverträge sind grundsätzlich erst einmal zu halten, denn auch hier gilt der Grundsatz „pacta sunt servanda“. Das bedeutet, dass ein Lieferant weiterhin zur Leistung verpflichtet bleibt, auch wenn diese durch die Corona-Krise erschwert oder verzögert wird. Wird die Lieferung allerdings endgültig unmöglich, so entfällt die Leistungspflicht gemäß § 275 Abs. 1 BGB, d.h. der Schuldner muss auch endgültig nicht mehr liefern. Neben Fällen der endgültigen Unmöglichkeit kann dem Schuldner ein Leistungsverweigerungsrecht auch ausnahmsweise dann zustehen, wenn zwischen der Leistung und dem Leistungsinteresse des Gläubigers ein grobes Missverhältnis besteht und dem Schuldner die Leistung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände nicht zugemutet werden kann (§ 275 Abs. 1 und 2 BGB). Man spricht dann vom Unvermögen des Lieferanten.

Ob eine Vertragspflicht nun wegen der Corona-Krise unmöglich oder unzumutbar geworden ist, hängt von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab. Während beispielsweise beim sogenannten absoluten Fixgeschäft die Unmöglichkeit automatisch mit Zeitablauf eintritt, ist beim Unvermögen gem. § 275 Abs. 2 und 3 BGB eine individuelle Interessenabwägung vorzunehmen. Entfällt die Leistungspflicht wegen Unmöglichkeit oder Unvermögens, so schuldet der Lieferverpflichtete jedoch eigentlich Schadensersatz statt der Leistung (§§ 280 Abs. 1, 3, 283, 275 BGB) und muss dem Gläubiger beispielsweise den entgangenen Gewinn aus dem geplatzten Weiterverkauf oder eine Preisdifferenz nach einem teureren Deckungskauf ersetzen. Die Schadensersatzpflicht des Lieferanten entfällt aber, wenn er nachweisen kann, dass er die Unmöglichkeit „nicht zu vertreten“ hat (§§ 280 Abs. 1 S. 2, 276 BGB).

2. Lieferverzug wegen Corona, § 286 BGB

Bleibt eine Lieferung jedoch weiterhin möglich und zumutbar und verzögert sich nur, so kommt der Lieferant durch eine Mahnung des Gläubigers gem. § 286 Abs. 1 BGB in Verzug. War ein fester Liefertermin vereinbart, so beginnt der Verzug bereits ohne Mahnung mit Ablauf des Liefertermins (§ 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB). In der Folge muss der Lieferverpflichtet den Verzögerungsschaden ersetzen (§ 280 i. V. m. § 286 BGB), d.h. er muss seinen Vertragspartner so stellen, wie er stehen würde, wenn der Lieferverpflichtete rechtzeitig geleistet hätte (§ 249 Abs. 1 BGB). Stand beim Hersteller beispielsweise die Fabrik still, weil er ohne die erwarteten Zulieferteile nicht weiterproduzieren konnte, so kann es zu massiven Verzögerungsschäden kommen. Allerdings kommt der Lieferant wiederum nur in Verzug, wenn die Lieferung aus einem Grund unterbleibt, den er „zu vertreten“ hat (§ 286 Abs. 4 BGB).

3. Ist die Corona-Krise ein Fall von höherer Gewalt?

Welche Lieferschwierigkeiten aber hat ein Lieferant zu vertreten? Das Gesetz stellt zunächst die Vermutung auf, dass ein Schuldner für die Unmöglichkeit oder den Verzug verantwortlich ist. Will er sich auf Tatsachen berufen, die ihn von der Haftung entbinden, so trägt er für deren Vorliegen die Beweislast. Nach der Rechtsprechung hat ein Schuldner eine nachträgliche Unmöglichkeit seiner Leistung beispielsweise dann nicht zu vertreten, wenn sie auf „höherer Gewalt“ beruht. Gleiches gilt für den Verzug. Was unter höherer Gewalt im haftungsrechtlichen Sinne zu verstehen ist, hat der Bundesgerichtshof wiederum etwa mit Urteil vom 16.05.2017 (Az. X ZR 142/15, Rz. 8) genauer bestimmt. Höhere Gewalt ist demnach „ein von außen kommendes, keinen betrieblichen Zusammenhang aufweisendes und auch durch die äußerste vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht abwendbares Ereignis“. Vereinfacht gesagt muss das Ereignis unvorhersehbar, unvermeidbar und außergewöhnlich sein. Das Merkmal des fehlenden betrieblichen Zusammenhangs soll zum Ausdruck bringen, dass die Ursache nicht in der Risikosphäre der Vertragsparteien liegen darf, d.h. „betriebsfremd“ sein muss.

4. Anwendbares Recht

Beruht die Lieferverpflichtung auf einem länderübergreifenden innereuropäischen Vertrag und wurde in diesem nicht explizit das UN-Kaufrecht (CISG) ausgeschlossen oder gar keine Rechtswahl getroffen, so kommt gem. Art. 1 CISG eben dieses UN-Kaufrecht ergänzend zur Anwendung. In Art. 79 CISG ist geregelt, dass eine Vertragspartei für die Nichterfüllung einer ihrer Vertragspflichten nicht einstehen muss, wenn sie beweist, „daß die Nichterfüllung auf einem außerhalb ihres Einflußbereichs liegenden Hinderungsgrund beruht und daß von ihr vernünftigerweise nicht erwartet werden konnte, den Hinderungsgrund bei Vertragsabschluß in Betracht zu ziehen oder den Hinderungsgrund oder seine Folgen zu vermeiden oder zu überwinden“. Die Corona-Pandemie kann also auch in diesem Fall zu einem Haftungsausschluss führen. Allerdings trägt auch hier der Schuldner die Beweislast und muss dem Gläubiger gem. Art. 79 Abs. 4 CISG innerhalb einer angemessenen Frist Mitteilung machen. Teilt er die Umstände nicht mit, so haftet für den daraus entstehenden Schaden.

5. Höhere Gewalt-Klauseln in Lieferverträgen

Ob nun die Corona-Krise einen Fall von Höherer Gewalt darstellt, kann jedoch nicht pauschal beantwortet werden. Es kommt vielmehr darauf an, wie die Corona-Krise das jeweilige Lieferverhältnis konkret beeinträchtigt und welche vertraglichen Vereinbarungen zwischen den Parteien zur Anwendung kommen. Denn Lieferverträge und Allgemeine Lieferbedingungen enthalten oftmals individuelle Vertragsklauseln, in denen geregelt ist wann ein Fall höherer Gewalt vorliegt und wann nicht und was die jeweilige Rechtsfolge sein soll. Diese Individualvereinbarungen gehen den gesetzlichen Regelungen vor. Es ist nämlich durchaus zulässig, dass sich ein Vertragspartner dazu verpflichtet auch in Fällen höherer Gewalt für die Leistungserbringung einstehen zu wollen. Enthält ein Vertrag eine Regelung zu Fällen Höherer Gewalt, so spricht dies zumindest dafür, dass sich die Vertragsparteien zu diesem Thema Gedanken gemacht haben.

Ist eine solche Höhere Gewalt-Klausel als Allgemeine Geschäftsbedingung im Sinne des § 305 Abs. 1 BGB zu qualifizieren, so stellt sich zudem die Frage, ob diese mit dem AGB-Recht vereinbar und wirksam ist. Das Landgericht Köln hat beispielsweise in einem Urteil vom 11.07.2018 (Az. 26 O 128/17) eine Klausel in allgemeinen Lieferbedingungen gem. § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB für unwirksam gehalten, wonach sich im Falle einer Lieferverzögerung aufgrund von höherer Gewalt „die Lieferzeit entsprechend um die Dauer des Leistungshindernisses“ verlängern sollte. Eine Klausel, mit der ein Lieferzeitpunkt auf einen unbestimmten Zeitpunkt hinausgeschoben wird, widerspreche dem Bestimmtheitsgebot und stelle eine unangemessene Benachteiligung dar, sofern der Vertragspartner das Ende der Lieferfrist nicht erkennen könne, so die Richter. Aber auch § 308 Nr. 1 und Nr. 8 BGB führen in der Praxis öfter zu einer Unwirksamkeit von Höhere Gewalt-Klauseln.

6. Fazit

Können Liefertermine wegen der Corona-Pandemie nicht eingehalten werden oder fallen Lieferungen ganz aus, so sollten der Lieferant und der Besteller prüfen lassen, welches Recht zur Anwendung kommt, ob individualvertraglich Regelung zu Fällen Höherer Gewalt getroffen wurden und ob diese wirksam sind. Denn die Corona-Krise führt für sich noch nicht zu einer Haftungsfreistellung. Es kommt vielmehr auf die Umstände des jeweiligen Einzelfalls an.

Rechtsanwalt Dr. Louis Rönsberg, Fachanwalt für Handelsund Gesellschaftsrecht sowie die weiteren Anwälte der Kanzlei SLB stehen Ihnen für Rechtfragen betreffend die Corona-Krise jederzeit gerne zur Verfügung.

Verfasser des Artikels

Dr. Louis Rönsberg

Rechtsanwalt, Partner
Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

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